Vom südlichen Afrika – wo ich mich dieser Tage aufhalte – aus betrachtet, liegen die aktuellen Entwicklungen in Europa und den USA weit entfernt und wenig im Fokus des täglichen Lebens. Dennoch mag man von hier aus eine klarere Sicht auf aktuelle Entwicklungen haben, als dies vielerorts in Europa selbst der Fall ist. In Europa und den USA führt man derzeit eine auf drei Monate anberaumte NATO-Militärübung durch, deren Szenario die Abwehr eines russischen Militärangriffes auf das Baltikum und die neuen NATO-Mitglieder in Skandinavien ist. In einem großen Teil der übrigen Welt – und so auch hier im südlichen Afrika – ist man hingegen damit beschäftigt, seine Volkswirtschaften zu modernisieren und Möglichkeiten zu finden, sich aus der kostspieligen und de-facto kolonialen Abhängigkeit des US-Dollars als Welthandelswährung zu lösen.
Der Status des US-Dollars als Weltreservewährung und als DIE Welthandelswährung (Anteil zeitweise über 80 Prozent) hat es den USA seit 1945, bzw. 1971 („Nixon Shock“) ermöglicht, ihre eigenen Finanzierungskosten vergleichsweise niedrig zu halten, endlose Haushaltsdefizite zu generieren, die daraus resultierende Inflation aber in die Welt zu exportieren und darüber hinaus massiv von den Reinvestitionen der Handelspartner im eigenen Wirtschaftsraum zu profitieren. In jüngster Zeit beschäftigen sich 130 Staaten (die 98 Prozent des weltweiten BIP ausmachen) aktiv mit der Einführung von Blockchain-basierten CBDCs (Central Bank Digital Currencies) sowohl für den Interbankenzahlungsverkehr als auch für den Groß- und Einzelhandel.
Am 29. Januar dieses Jahres wurde die erste grenzüberschreitende digitale Zahlung zwischen den BRICS-Partnern VAE und Volksrepublik China mit dem VAE-Dirham über die digitale chinesische Plattform M-Bridge abgewickelt. Diese – und ähnliche – Plattformen ermöglichen internationale Geldtransfers zwischen teilnehmenden Banken unter Verwendung von Blockchain-CBDCs, ohne wie bisher über den Umweg des US-Dollars und seiner amerikanischen Corresponding Banks und Clearing-Mechanismen zu gehen, sowie der sich dadurch ergebende Nachverfolgbarkeit, bzw. Blockademöglichkeit eines von der US-Regierung in den letzten Jahren verstärkt „weaponized“ Dollars auszusetzen. Die Nutzung solcher Plattformen dürfte in Zukunft zu einem spürbaren Rückgang der internationalen Nachfrage nach US-Dollar führen und damit die Möglichkeiten der USA zur Generierung neuer Staatsschulden einschränken. Vor allem wird die bisher quasi automatische Reinvestition der im Welthandel erzielten und in US-Dollar denominierten Gewinne in den USA deutlich reduziert und diese Wertschöpfungsströme gleichmäßiger und man könnte sagen „gerechter und gesünder“ in der Welt verteilt. Gleichzeitig wird damit auch das in den USA beliebte „soft power“-Instrument der Sanktionen stumpf.
In dem Maße, in dem rohstoffreiche Länder beginnen, ihre Geschäfte in lokalen Währungen abzuwickeln, werden wir eine fortschreitende Entkoppelung des US-Dollars und damit eine wirtschaftliche Schwächung Amerikas erleben. Die VAE versuchen, einen goldenen Mittelweg zu finden: Sie wollen ihre bisherige Abhängigkeit von den USA reduzieren, da deren Position im Nahen Osten auf zunehmend unsicherem Grund steht. Sie bauen ihre Beziehungen zum Osten im Rahmen von strategischen Partnerschaften sowohl mit China als auch mit Russland aus. Die EU spielt in diesem Zusammenhang in politisch und wirtschaftlicher Hinsicht so gut wie keine Rolle. Die seit Anfang 2024 als BRICS-Partner auf der Suche nach neuen Horizonten vereinten Staaten des arabischen Raumes und China haben allein 2023 und 2024 Handelsabkommen im Wertäquivalent zweistelliger US-Dollar Milliardenbeträge abgeschlossen, wobei insbesondere die neuen langfristigen Rohöllieferverträge zwischen Saudi-Arabien und China zu nennen sind, die den amerikanischen „Petro-Dollar“ direkt angreifen. Zukünftige Transaktionen werden in den bilateralen digitalen Landeswährungen abgewickelt, was bedeutet, dass der US-Dollar einen erheblichen Schlag erleiden wird.
Die derzeitige Annäherung des arabischen Raumes und Chinas ist das Ergebnis des gegenwärtigen Übergangs von der bisherigen – von den USA während der letzten 30 Jahre angeführten – unipolaren, hin zu einer neuen, multipolaren, Weltordnung. Die bisher deutlichste Manifestation des selbst verursachten Scheiterns der amerikanischen Außenpolitik, im Grunde genommen eine „my way or the highway“ Politik, hat die Staaten des „Globalen Südens“ dem Westen entfremdet. Wie John Mersheimer sagte, hat dieses Versagen der amerikanischen Außenpolitik dazu geführt, dass China und Russland gegenseitig in die Arme getrieben wurden, und dass all jenen Staaten des Globalen Südens, die vom Westen bisher als nachrangige Resourcenkolonien behandelt worden sind, plötzlich eine Alternative in Form der BRICS+ offen steht. In strategischer Hinsicht handelt es sich um das teuerste und schwerwiegendste Versagen der amerikanischen Außenpolitik, das auch für die amerikanischen Vasallenstaaten in der EU dramatische Folgen haben wird. Die jüngste Verabschiedung eines noch härteren Sanktionspakets gegen Russland durch die Europäische Union könnte am Ende die europäischen Staaten wirtschaftlich härter treffen als Russland selbst und Russland und die EU einander weiter entfremden – was im Sinne der realpolitischen Interessen in der internationalen Politik durchaus im Sinne der USA wäre.
Im Gegensatz dazu expandiert der BRICS-Block. Am jüngsten Moskauer Treffen Ende Januar d.J. wurde angekündigt, dass bald weitere 23 bevölkerungs- und rohstoffreiche Länder dem Block beitreten würden, so etwa Indonesien (Palmöl, Kohle, Erdgas und Kautschuk), Thailand (Maschinen und Elektronik, landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Reis und Meeresfrüchte, Bekleidung und Industrieerzeugnisse) in Ostasien, Kasachstan (Uran, Erdöl, Metalle wie Eisenerz, umfangreiche Bodenschätze, landwirtschaftliche Erzeugnisse), Pakistan (Textilien und Bekleidung, Obst und Gemüse, Reis, Lederwaren in Asien; Simbabwe (Gold, Platin, Chrom, Tabak und Baumwolle), Angola (Erdöl, Kohle, Asbest, Kupfer, Nickel, Gold, Platin und Eisenerz), der Kongo (Erze und seltene Erden, Erdöl, Zucker, Palmöl, , Mehl und ), Gabun (Erdöl)) in Afrika, sowie im Nahen Osten Syrien (Erdöl, Phosphate, Textilien und landwirtschaftliche Erzeugnisse), Türkei (Stahl und Metalle, industrielle und landwirtschaftliche Erzeugnisse, Handel mit Transitwaren), aber auch Länder wie Mexiko ( Automobilindustrie, Elektronik und Industrieerzeugnisse), Kuba und Uruguay (Rindfleischexporte), Nicaragua (Textilien und landwirtschaftliche Erzeugnisse) in Mittel- und Südamerika.
Die Energiemacht der BRICS+ wird durch große Öl- und Gasproduzenten wie Iran und Saudi-Arabien gestärkt. Die BRICS+ kontrollieren mehr als 80 Prozent der weltweit bekannten, und nach heutigem Stand der Technik wirtschaftlich förderbaren Rohöl- und Gasreserven (und damit auch die nachgelagerte chemische Industrie). Darüber hinaus verfügen die VAE mit über 215 Billionen Kubikfuß über die siebtgrößten nachgewiesenen Erdgasreserven der Welt. Trotz der seit Ende der 1970er Jahre bestehenden US-Sanktionen hat der Iran seine Ölexporte in den letzten 15 Jahren deutlich gesteigert, wobei die Hauptabnehmer Indien und China – als BRICS-Partner – sind.
Die Vereinigten Staaten spielen weiterhin eine dominante Rolle – wenn auch in ihrer zunehmend kleiner werdenden Einflusssphäre in Europa. Im Jahr 2022 lieferten die USA 50 Prozent des europäischen LNG-Bedarfes und 12 Prozent des Rohöls, während die direkten russischen Öl- und Gaslieferungen aufgrund von Boykotten, Sanktionen und EU-Preisobergrenzen um die Hälfte zurückgingen; es ist allerdings zu beachten, dass die russischen Lieferungen über Drittländer unverändert anhalten. Der Westen, und hier insbesondere die EU, setzt aus politisch-ideologischen Gründen immer stärker auf „erneuerbare“ grüne Energien und „Dekarbonisierung“, was sich bisher allerdings in einer verringerten globalen Wettbewerbsfähigkeit und steigenden europäischen Verbraucherpreisen niederschlägt, ohne bisher die erhofften Vorteile zu bringen. Wenn die notwendigen technologischen Durchbrüche nicht sehr bald gelingen, wird die „grüne“ europäische Wette nicht aufgehen, was in der Folge zu einer völligen Abhängigkeit Europas von Energieressourcen, Rohstoffen, Nahrungsmitteln und Industrieprodukten unter außereuropäischer, d.h. amerikanischer, chinesischer oder russischer Kontrolle führen könnte.
Was die Wirtschaft und das BIP betrifft, so umfasst die Zusammenarbeit der BRICS+ mit der Aufnahme von sechs neuen Mitgliedern nun über 30 Prozent der Weltwirtschaft mit einem gemeinsamen BIP von über 30 Billionen US-Dollar aus.
Während meines Aufenthaltes im südlichen Afrika hatte ich Gelegenheit, mit internationalen Vertretern aus Politik, Wissenschaft, Diplomatie und Wirtschaft zu sprechen. Einheitlich war ein klares Verständnis für die Umklammerung, die Amerika auf die europäischen Entscheidungsträger ausübt. Ein starkes Europa ist nicht in US-amerikanischem Interesse. Die europäischen Staaten sollten sich auf ihre Souveränität besinnen und aus eigener Kraft Entscheidungen zum Wohle der eigenen Bevölkerung und Wirtschaft treffen, anstatt sich als willige Handlanger in Kriegen instrumentalisieren zu lassen, und diese auch noch zu bezahlen. Denn etwa die finanzielle Unterstützung der USA für die Ukraine erfolgt gegen konkrete Werte, wie z.B. Minenrechte und Agrarflächen, während die EU-Unterstützung gegenleistungslos gewährt wird, und zu einem großen Teil der US-Waffenindustrie zugutekommt. Entwicklungen, die dem Globalen Süden nicht verborgen bleiben.
Wie eingangs erwähnt, bereiten sich Europa und Amerika auf eine dreimonatige NATO-Übung vor, an der etwa 100 000 Soldaten und Kriegsmaschinen beteiligt sind. Die Narrative und das Playbook stehen fest, die Bevölkerungen soll auf mögliche Kriegsereignisse eingeschworen werden, man will die Übung realitätsnah gestalten. Vieles deutet konkret darauf hin, dass Europa ein weiteres Mal darauf vorbereitet werden soll, möglicher Schauplatz eines Weltenbrandes zu sein. Meiner Meinung nach handelt es sich um eine Übung, in der ausufernde Bedrohungsszenarien und Feindbilder geschürt werden, eine russische Aggression heraufbeschworen wird, die es so nicht gibt und seit dreißig Jahren auch nicht gab. An dieser Stelle sei erwähnt, dass Russland sich seit Jahrzehnten immer wieder für den Dialog und die Zusammenarbeit mit dem Westen, insbesondere mit der EU, aufgeschlossen zeigte. Aufgrund der langen Dauer der Übung und der großen Anzahl beteiligter Truppen birgt sie jedoch das konkrete Risiko, sei es durch technisches oder menschliches Versagen, ungewollt in eine reale Konfrontation auf Kosten unschuldiger europäischer Zivilisten zu schlittern.
Um Wolfgang von Goethe zu paraphrasieren – „die Geister, die ich rief“…